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Ahnengeschichten mit Rückgaberecht

Sonne_zwischen_den_Händen

Ein Hungerleider

Einen Hungerleider, so nannten sie meinen Großvater. Die Schwestern der Großmutter mochten ihn nicht. Angeblich, weil er unehelich geboren wurde. Das hat mir meine Mama erzählt. Im Zuge einiger Familienaufstellungen wurde mir klar, es ging um viel mehr. Die beiden Familien waren verfeindet. Romeo und Julia auf ötztalerisch.

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Vor etlichen Jahren wollte ich herausfinden, warum ich in meiner Karriere nicht so richtig vom Fleck gekommen war. Eine Systemischen Aufstellung schien mir als passendes Instrument, meiner Blockade auf den Grund zu gehen. Dass mein Großvater darin vorkommen sollte, ahnte ich noch nicht.

Mein Dasein rechtfertigen

Die Frau, die ich für mich als Repräsentantin gewählt hatte, sagt während der Aufstellung: „Ich warte dauernd darauf, dass jemand sagt, ich habe hier nichts verloren. Ich glaub ständig, ich muss mich rechtfertigen, dass ich hier bin.“ Das Gefühl war mir bekannt. Das innere Unbehagen. Das Nicht-stören-wollen. Die vorauseilenden Entschuldigungen. Es gehörte irgendwie zu mir.

Etwas, das schon ein Leben lang da war, fällt nicht mehr auf. Es hat sich eingefleischt. Erst in der Aufstellung wurde mir deutlich, dass es so war.

Die Spur des Unbehagens weiter ergründend wurde nach einiger Prozessarbeit klar, dass das Thema zu meinem Großvater gehört.

In Ungnade geboren

Die „Schmach“ des unehelich geboren seins, wurde meinem Großvater zeitlebens vorgehalten. Er war ein kränklicher Mann und ist mit 58 Jahren an Magenkrebs verstorben. Seine Schwägerinnen blieben seiner Beerdigung fern – als Unehelicher verdiene er keinen Respekt, so ihre Ansicht.

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Ich kannte die Geschichte aus Erzählungen. Was ich bis zu jener Aufstellung nicht gewusst hatte war, wie sehr Großvaters Los mein Leben beeinflusst hatte.

Heute wissen wir dank der Epigenetik, dass Einflüsse von Außen die Genaktivität verändern und diese Veränderungen an die nächsten Generation weitervererbt werden können. Jetzt verstehe ich endlich die Geschichte mit der Erbsünde. Schwierigkeiten, denen unsere Ahnen ausgesetzt waren, wirken in uns weiter.

Die Geschichte mit der Erbsünde

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­In der Volksschule fand ich die Vertreibung aus dem Paradies ziemlich blöd. Was kann ich dafür, dass Adam und Eva nicht brav waren.

Ein ganz neues Verständnis erhielt ich durch die Forschungsergebnisse der Epigenetik. Im Paradies fühlen wir uns, wenn innere Verbundenheit und Glückseligkeit präsent sind. Wenn wir mit uns selbst und der Welt im Einklang sind, dann ist alles leicht und frei.

Viele von uns tragen das Drama der Ahnen in den Genen: Ungerechtigkeiten, Verwahrlosung, Misshandlung, Missbrauch und anderes. Der Zugang zum Paradies ist versperrt.

Es gibt eine Lösung

Eine bekannte Methode während einer Aufstellung ist, etwas, das nicht zu mir gehört, zurück zu geben. Mein Großvater nahm dieses Paket gerne an und er wusste, er muss es auch selbst nicht behalten. Nur ein Teil blieb bei ihm, den Rest gab er an seine Ahnen weiter. Meine Repräsentantin hatte Tränen in den Augen.

Diese Szene ist schon lange her und dennoch erinnere ich mich noch genau daran, an die Leichtigkeit, die an die Stelle der Blockade trat.

Seit fast 15 Jahren leite und begleite ich Systemische Aufstellungen und immer wieder bin ich fasziniert von den Wendungen, die sich ergeben, von den Erkenntnissen und Lösungen, die sich zeigen. Was ich mir im Kopf ausdenken kann, ist begrenzt. Die Aufstellung zapft ein Wissen an, das unserer Kognition noch nicht erschlossen ist.

Die Aufstellung war für mich lebensverändernd„, hat neulich eine Klientin gesagt.

Ja, das kann passieren.

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