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Reset: Aufnahme Psychiatrie

Barbara nachdenklich auf der Brücke

Ich doch nicht!

Aufnahme Psychiatrie – Scham, Abwehr, Nicht-wahrhaben-Wollen, unerwartete Erleichterung – ein Wechselbad der Gefühle.

Meine Geschichte – abstrakt erzählt.

Der Text ist für
Menschen mit eigener seelischer Belastung, Angehörige, psychosoziale Fachkräfte.

Mathilda trottet hinter ihrer Tochter her. Silvia steuert auf den Infoschalter zu, redet mit dem Herrn, dreht sich um und fasst Mathilda unterm Arm. Da lang! Zweiter Stock.

„Aufnahme Psychiatrie“ steht da in großen schwarzen Lettern. Für Mathilda bleibt die Welt einen Augenblick lang stehen. Sie fixiert das Schild. Psychiatrie. So, so! Nun ist es also soweit.
Für die Menschen rundherum scheint das alles völlig normal zu sein. 
Wer hätte gedacht, dass ich hier einmal lande?
Mathilda verlangsamt den Schritt. Die Tochter hält ihr die Tür auf. Am Ende des langen Ganges wieder eine Glastür, ein kleines Wartezimmer, eine Frau in weißem Kittel hinterm Aufnahmefenster.
Haben Sie eine Einweisung? Nein, haben wir nicht. Ich habe angerufen, wir kommen ohne Überweisung.

Mathilda ist froh, dass Silvia redet. Die Frau im weißen Kittel stellt viele Fragen, will wissen, ob die Daten stimmen. Der Hausarzt? Ähm, ähm … Mathilda weiß es nicht. Ihr fällt der Name nicht ein. Sie schämt sich. Macht nichts, Sie können es uns später auch noch sagen. Mathilda senkt den Kopf, spürt Blicke der Menschen rundherum. Fast alle Sessel sind besetzt. Silvia bedeutet Mathilda sich zu setzen und lehnt sich neben sie an die Wand. Mathilda beobachtet aus den Augenwinkeln die anderen Wartenden, kommt zu dem Schluss, dass es vielen hier viel schlechter geht als ihr. Ich hab mich ja nur kurz hierher verirrt, sicher bin ich schnell wieder normal.
Nach langem Warten wird endlich ihr Name aufgerufen. Die Ärztin ist nett und verständnisvoll.
Depression. Mittelgradige depressive Episode.
Aha. Das ist also eine Depression. 

Ich?

Ich habe eine Depression!?!


So schlimm diese Diagnose für Mathilda ist, sie spürt auch etwas Erleichterung. Endlich eine Diagnose. Jetzt hat das Kind einen Namen. Ihr wird Verständnis entgegen gebracht, Verständnis, das sie sich selbst gegenüber nicht mehr hatte. Und Fürsorge. Mathilda weint. Schämt sich dafür und hört, dass es in Ordnung sei. Hier ist Nicht-normal-sein normal. Das beruhigt.

Mathilda sitzt in ihrem Bett. Das Krankenzimmer erinnert eher ans Internat als an eine Klinik. Freundlich eingerichtet, zwei Betten an die Wand gestellt. Jetzt brauche ich nichts mehr tun. Ich werde versorgt. Welch eine Entlastung. Sie lächelt. Kurz nur, gleich wieder ein Schrei in ihrem Inneren: Eine Depression! Ich doch nicht! Ich doch nicht!!!

Ein Pfleger tritt ein. Er stellt Fragen. Mathilda antwortet. Erzählt von ihr. Sie fühlt sich geborgen, hat Vertrauen. Lange dauert das Gespräch und Mathilda schöpft Kraft. Sie ist nicht die Einzige. Offensichtlich geht es vielen Menschen so wie ihr. Alles was sie beschreibt, scheint dem Pfleger bekannt zu sein. Er versichert ihr, dass sie mit jedem Anliegen kommen darf, ja kommen soll, ehe er aus dem Zimmer geht. 

Sie sitzt in ihrem Bett und denkt nach. Denkt nach, wie sie aus dieser Situation schnell wieder herauskommen kann. Das haben wir gleich. Eine Krise kann schließlich jeder einmal haben. Immerhin bin ich noch nicht so drauf, wie die anderen hier. Sie schüttelt den Kopf, als könne sie damit Gedanken vertreiben. 

Ich doch nicht! hallt es wieder laut in ihrem Innern. Ich! Ich, die anderen Burnout-Prävention gelehrt hat. Sie stößt einen langen leisen Seufzer aus. Anderen habe ich geholfen, ihre eigenen Kraftquellen zu ergründen. Lebenssonnen haben wir gebastelt. Auf jeden Strahl mussten die Teilnehmerinnen etwas schreiben, das ihnen guttut, etwas, das sie stärkt. Das war so schön. Was da den Leuten alles eingefallen ist. Und dann hing der ganze Seminarraum voll mit gelben Sonnen in allen möglichen Formen. Das habe ich gut gemacht. Mathilda lächelt vor sich hin, denkt an die vielen Frauen, die sie ein Stück des Weges begleitet hatte in all den Jahren. 

Und jetzt sitze ich hier. Ich hier in der Klapse. Langsam schüttelt sie den Kopf, das Lächeln ist verschwunden. Ach Mathilda, du bist so unfähig. Du hast geglaubt du bist super! Hast auch nur du geglaubt.

Wär ich doch ins Wasser gegangen, dann wär alles vorbei. Vorbei die ganze Mühsal.
Mathilda erinnert sich, wie alt diese Gedanken schon sind. Viele Jahre waren sie nicht hörbar, all die Jahre, wo sie Verantwortung für ihre Kinder hatte. Allein war. Jetzt sind alle erwachsen. Jetzt ist sie nur mehr für sich selbst verantwortlich. Ich mag nicht mehr. Tränen laufen über ihre Wangen. Es war zu viel. Immer zu viel. Viel zu lange zu viel. Einschlafen und nicht mehr aufwachen, das wäre schön.

Das Rauschen aus dem Lautsprecher holt sie zurück: „Bitte alle zum Abendessen kommen“. Mathilda putzt sich die Nase, wäscht ihr Gesicht, versucht zu lächeln. Niemand soll ihre roten Augen sehen. Aufrecht geht sie in den Speiseraum. Sie ist keine von denen. Sie hat sich nur durch widrige Umstände hierher verirrt.

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